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Sie gähnte. Ihr Gang war nicht halb so voller Elan wie sonst. Und sonst war er schon nicht allzu elanvoll um diese Uhrzeit. Ihr Haar hing ihr würdelos am Kopf hinab und ihre Augen starrten glasig an die Aufzugtür, die sich gerade wieder schloss und der sie sich langsam- ziemlich langsam- näherte. Sie hatte nicht geschlafen. Oder vielleicht schon. So genau wusste sie das nicht. Sie wusste nur, dass es irgendwann Zeit gewesen war aus dem Haus zu gehen. Und dann hatte sie sich aus ihrem Sessel erhoben und war zur Tür hinaus. Ohne noch einmal in den Spiegel zu sehen oder sich von Freddy zu verabschieden. Auf dem Weg durch den Flur war sie an einem kaputten Weinglas und einer leeren Château d´ Yquem - Flasche vorbeigezogen. An der Haustür hatte sie einen seltsamen, neuen Fleck identifiziert, aber um viel mehr zu tun, als ihn bloß zu bemerken, war es noch zu früh und ihr Restalkoholspiegel zu hoch. Ihr Gesicht war bleich. Wäre nicht der strahlend limonengrüne Kittel in ihrer Hand, hätte man sie mit einem der unendlich vielen Patienten verwechseln können. Ihr Mund war trocken und ihre Lippen farblos. Es war nicht ihrer Art, hier so aufzukreutzen. Das heißt; sich von Sonntag auf Montag so zulaufen zu lassen, dass sie sich unsicher war, ob überhaupt schon Montagmorgen war, war sogar ziemlich ihre Art, aber in ihrem Kopf hatte sich eingebürgert immer darauf zu achten, wie sie das Haus verließ. Selbst, wenn sie kaum im Stande war, das Haus zu verlassen. Aber heute war das nicht ganz der Fall. Heute Nacht hatte sie mit Freddy und um einiges mehr Alkohol, als eine bloße Château d´ Yquem - Flasche herzugeben hatte, über den Sinn der Mode, die Eitelkeit und die Oberflächlichkeit der Menschheit gesprochen. Und es war eine reine Protestaktion. Sie trug aus Protest, aus bloßen Protest, immer noch die gleiche Kleidung, die sie sich gestern morgen aus ihrem Schrank gesucht hatte. Und aus mehr oder weniger Protest, hatte sie sich nicht mal die Haare gekämmt. Aber was machte das schon. Unter den Krankenhausangestellten kam man sich gutaussehend manchmal ziemlich fehl am Platz vor. Sie erreichte den Aufzug und blieb stehen. Ihre Beine waren bleischwer. Ihre Augen tränten beinahe. Sie hob eine zierliche Hand, aber viel mehr musste sie nicht tun. Der Aufzug schwang auf und war bereit sie eintreten zu lassen. Doch sie zögerte. Eine Hand wischte ihr fahrig über die Augen. Ihr Denken war nicht mehr allzu präsent. Und das seit Stunden. Aber jetzt schlug etwas Alarm. Sie trat einen Schritt wieder zurück. An ihr vorbei drängelte sich plötzlich eine rundliche, seltsam riechende Frau. Und dann war der Fahrstuhl samt dem seltsamen Geruch weg. Sie zögerte noch einmal. Dann begann ihre Hand, die sie eben noch erhoben hatte, an ihrer Hosentasche rumzuziehen. Ihre Hand glitt hinein und umfasste auf einmal etwas längliches, rundliches. Ihre Lippenpflege hatte sie vergessen. Ihre allerliebste Lieblingsmangolippenpflege. Es dauerte nur einige Sekunden bis der Aufzug erneut aufschwang und sie eintrat. Mit dem Lippenzeug in ihrer Hand fühlte sie sich plötzlich merkwürdig kontrollierend. Sie hatte etwas festes, beständiges, vertrautes in der Hand und das gab ihr wieder etwas Kontrolle. Sie drehte die Pflege auf und hob sie an ihre Lippen. Ihre Augen sahen aus dem Aufzug in den Korridor. Der vertraute Geruch bannte sie für einen Moment. Und dann begann die Aufzugtür sich quälend langsam zu schließen.
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